G. Motyka: From the Volhynian Massacre to Operation Vistula

Cover
Titel
From the Volhynian Massacre to Operation Vistula. The Polish-Ukrainian Conflict 1943–1947


Autor(en)
Motyka, Grzegorz
Reihe
Fokus. Neue Studien zur Geschichte Polens und Osteuropas
Erschienen
Paderborn 2022: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Golczewski, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Dass Polen seit der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 und verstärkt angesichts des russischen Angriffskrieges einer der entschiedensten Unterstützer des Landes war, mag angesichts der wechselvollen Geschichte der polnisch-ukrainischen Nachbarschaft erstaunen. Schon 1918/19 war die Rivalität um Ostgalizien kriegerisch ausgetragen worden, und mit den Massakern des „Krieges im Krieg“ in Galizien und Wolhynien erreichten die Auseinandersetzungen 1943/44 ihren blutigen Höhepunkt. Trotzdem war die polnisch-ukrainische Konfliktgeschichte lange kaum bekannt. Bis zum Zusammenbruch des „Ostblocks“ wurde das Thema tabuisiert – Polen und Ukrainer, die man 1944–1947 durch wechselseitige Zwangsdeportationen „entmischt“ hatte, sollten die Erinnerung an ihre Feindseligkeiten begraben.1

Das gelang nicht. Nach dem Fortfall der staatssozialistischen Zensur entsann man sich vor allem in Polen der massenhaften Mordaktionen, mit denen die nationalistische Ukrainische Aufständischenarmee (UPA) nahezu homogene ukrainische Siedlungsgebiete und somit eine unumstrittene territoriale Basis für einen künftigen ukrainischen Staat hatte schaffen wollen. Während in ukrainischen Publikationen eher verharmlosend von einer „Tragödie“ die Rede war2 und die UPA-Aufnahme in eine 2015 von Präsident Petro Porošenko unterzeichnete Liste der offiziell zu ehrenden Unabhängigkeitskämpfer fand, wurde der historische Konflikt in Polen durch explizite und einseitige Publikationen in rechtsradikalen Verlagen wie „Nortom“ und „von Borowiecky“ skandalisiert.3

Aus diesem verminten Feld stechen die Arbeiten des Historikers Grzegorz Motyka heraus, der heute das Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften leitet. Zum einen behandelt Motyka polnische und ukrainische Handlungen fast gleichwertig, zum anderen betrachtet er Kriegs- und Nachkriegszeit konsequent im Zusammenhang. Es ist deshalb zu begrüßen, dass Motykas 2011 in Polen erschienenes Überblickswerk Od rzezi wołyńskiej do akcji ‚Wisła‘. Konflikt polsko-ukraiński 1943–1947 nunmehr in Deutschland in englischer Sprache veröffentlicht wurde. Damit erhalten diejenigen, die über keine Kenntnisse osteuropäischer Sprachen verfügen, erstmals einen umfassenden Zugang zu der Geschichte der „zweiten Reihe“ der Kriegsteilnehmer, die sich im Schatten des Zweiten Weltkriegs mit Gewalt in Position für die Gestaltung der künftigen Landkarte zu bringen suchten.

Motyka lässt seine Darstellung 1918/19 einsetzen und thematisiert zunächst die Missgriffe der polnischen Obrigkeit gegenüber den Minderheiten des wiederentstandenen Staates. Zwar wurde gerade in Wolhynien unter dem ukrainefreundlichen Wojewoden Henryk Józewski ein Versuch unternommen, über die Förderung eines Regionalbewusstseins die nationalen Antagonismen zu überwinden; dieser scheiterte jedoch.4

Im Frühjahr 1943 brach hier die antipolnische „Aktion“ der UPA mit aller Gewalt aus. Motykas Darstellung ist um Sachlichkeit bemüht, was angesichts der fraglos mehr als brutalen Handlungen bemerkenswert ist. Die UPA-Kämpfer machten keine Gefangenen und begingen ihre Morde an Männern, Frauen, Kindern und Alten häufig nicht mit Schusswaffen, sondern mit landwirtschaftlichem Gerät. Neben polnischen Selbstverteidigungseinheiten kamen als weitere Konfliktbeteiligte die deutschen Besatzungstruppen hinzu, die Schutzzonen für Polen organisierten, sowie sowjetische Partisanen, die ihrerseits gegen alle anderen vorgingen. Ende 1943 griffen die Massaker auf Galizien über.

Exkurse schiebt Motyka zu Anschlussthemen ein – so zur Haltung des griechisch-katholischen Metropoliten Andrij Šeptyc’kyj (der besser wegkommt als sein römisch-katholischer Lemberger Amtsbruder), zur SS-Division Galizien, deren angebliche Beteiligung an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands der Historiker als Mythos entlarvt, und zum polnisch-ukrainischen Konflikt im Distrikt Lublin des Generalgouvernements.

Der letztgenannte Aspekt ist von größerem Interesse für das Verständnis der polnisch-ukrainischen Konfliktdynamik, als es bei Motyka auf den ersten Blick scheint. Während er die ukrainischen Mordtaten in den Kapiteln 7–16 behandelt, wird der Lubliner Konflikt erstmals in Kapitel 18 angesprochen. Hier begannen die Auseinandersetzungen aber bereits 1942, als die Deutschen die polnische Bevölkerung aus der Region um Zamość vertrieben, um ein deutsches Siedlungsgebiet zu schaffen. Weil es jedoch an deutschen Interessenten mangelte, wurden dort auch Ukrainer angesiedelt. Der polnische Untergrund reagierte ab Januar 1943 mit „‘eliminating‘“ Maßnahmen gegen ukrainische Ansiedler (S. 187). Die antipolnischen Massaker der UPA in Wolhynien begannen kurz darauf, nämlich im Februar 1943 in dem Dorf Parośla und in größerem Maßstab im März 1943.

Motyka überschreibt nun ein Unterkapitel mit der naheliegenden Frage „Was the Volhynian Massacre Provoked by Killings of Ukrainians in Lublin Region?“ (S. 189). Er verneint dies aber mit der Begründung, dies wäre nur anzunehmen, wenn „mass killings“ im Lubliner Gebiet stattgefunden hätten. An dieser Stelle bleibt aber die Frage, ob die Häufung zahlreicher Einzeltaten (die es spätestens ab Mai 1943 gab) nicht doch eine solche Perzeption erzeugen konnte. Die massiven ukrainischen Mordzüge fanden erst später statt, mit einem ersten Höhepunkt im Juli 1943. Dass Motyka hier die Chronologie seiner Darstellung unterbricht und auf dem Fehlen eines Zusammenhangs beharrt, deutet auf eine gewisse propolnische Parteilichkeit hin.

Ansonsten ist die Darstellung ausgeglichen, vor allem, wo es um die 1944 (nach dem Abzug der Deutschen) beginnende Auseinandersetzung zwischen den nationalistischen Ukrainern und den nun zeitweise mit ihnen kooperierenden antikommunistischen Polen einerseits sowie den kommunistischen polnischen und sowjetischen Verbänden andererseits geht. Während die geläufigen ukrainischen UPA-Darstellungen bis in die 1950er-Jahre reichen, lässt Motyka seinen Berichtzeitraum 1947 enden, als in der „Aktion Weichsel“ die im Südosten Polens verbliebenen Ukrainer in die ehemaligen deutschen Ostgebiete deportiert wurden. Was auf der sowjetischen Seite der Grenze geschah, nachdem die dortigen Polen nach Pommern und Schlesien umgesiedelt wurden, ist nicht mehr Motykas Thema.

Im Gegensatz zu der immer noch Zustimmung findenden Behauptung, die polnischen Massendeportationen nach Kriegsende seien hauptsächlich gegen die „Terroristen der UPA“ gerichtet gewesen, kann Motyka belegen, dass diese auch Lemken betrafen, eine Volksgruppe, in der viele, aber nicht alle sich als Ukrainer identifizierten und die mit den ukrainischen Nationalisten kaum jemals etwas zu tun hatte. Die polnische Politik blieb inkonsistent. Das nunmehr im Südostzipfel Volkspolens gelegene Gebiet wurde kaum neu besiedelt. Heute liegt dort der Nationalpark Bieszczady mit ehemaligen Dörfern, von denen noch einige Kamine stehen. Schon 1952 gab Polen allerdings die Absicht auf, alle deportierten Ukrainer polnisch zu assimilieren, und gestattete zunächst ukrainische Kulturvereine und dann auch Schulen.

Auf den letzten Seiten diskutiert Motyka schließlich den Unterschied zwischen „ethnischer Säuberung“ und „Genozid“. Generell macht er es sich mit der Einordnung seines Themas nicht leicht und bemüht sich um eine theoretisch fundierte Herangehensweise, was angesichts der politisch aufgeladenen Debatte in Polen lobenswert ist.

Grzegorz Motyka hat sein Buch in der Absicht geschrieben, polnischen Lesern eine nicht-chauvinistische Darstellung der schlimmsten Problemzone der polnisch-ukrainischen Geschichte zu bieten. Er hat sich damit die Kritik der „kresowcy“ eingehandelt, der polnischen Entsprechung der deutschen Vertriebenen, denen Motykas Deutungen zu ukrainerfreundlich ausfallen. Vielleicht wäre es besser gewesen, etwas mehr Nachweise in die nicht übermäßig zahlreichen Anmerkungen zu bringen. Motyka begründet deren geringe Zahl mit der Absicht, ein breiteres Publikum zu erreichen. Wir glauben nicht, dass das ein valides Argument ist. Ein breites Lesepublikum, auch über Polen hinaus, ist dem Buch aber auf jeden Fall zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Das einzige Buch, in dem die Morde in Wolhynien auf wenigen Seiten abgehandelt wurden, wurde kurz nach seiner Veröffentlichung im Verlag des polnischen Verteidigungsministeriums aus dem Verkehr gezogen (Antoni B. Szcześniak/Wiesław Z. Szota, Droga do nikąd. Działalność organizacji ukraińskich nacjonalistów i jej likwidacja w Polsce, Warszawa 1973) und nach dem Ende Volkspolens mit umgekehrtem Titel neu aufgelegt (Szcześniak/Szota, Wojna polska z UPA. Droga do nikąd, Warszawa 2013).
2 Ihor I. Il’jušyn, Volyns’ka trahedija 1943–1944 rr., Kyïv 2003.
3 Etwa Ewa und Władysław Siemaszko, Ludobójstwo dokonane przez nacjonalistów ukraińskich na ludności polskiej Wołynia 1939–1945, Warszawa 2000.
4 Vgl. Kathryn Ciancia, On Civilization’s Edge. A Polish Borderland in the Interwar World, Oxford 2020, rezensiert für H-Soz-Kult von Frank Golczewski, 24.05.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95698 (16.06.2023).

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension